Interview mit Elke Grammerstorf – Schulleiterin der BEST-Sabel-Grundschule Kaulsdorf, Berlin
21. Juni 2019
Preisverleihung des Schülerzeitungswettbewerbs der Länder 2019 im Bundesrat
4. Juli 2019
Interview mit Elke Grammerstorf – Schulleiterin der BEST-Sabel-Grundschule Kaulsdorf, Berlin
21. Juni 2019
Preisverleihung des Schülerzeitungswettbewerbs der Länder 2019 im Bundesrat
4. Juli 2019

Interview mit Regina Zimmermann,

Schulleiterin des Käthe-Kollwitz-Gymnasium, Halberstadt in Sachsen-Anhalt

Sehr geehrte Frau Zimmermann, stellen Sie doch einmal Ihre Schule kurz vor.


Wir sind das Käthe-Kollwitz-Gymnasium, ein ganz normales Gymnasium, eines von zwei Gymnasien in der Kreisstadt Halberstadt. 45 Lehrer unterrichten ca. 500 Schüler an der Schule. Die Schüler kommen sowohl aus Halberstadt als auch aus dem Umland.

Das Profil unserer Schule hat mehrere Schwerpunkte. Zum einen sind wir ein Wirtschaftsgymnasium, d.h. wir machen verstärkten Wirtschaftsunterricht bis zum Abitur. Zudem sind wir eine „Club of Rome Schule“, wir verfolgen in unserer Bildungsarbeit die Ziele des „Club of Rome“, also z.B. Nachhaltigkeit und ökologisches Handeln. Wir pflanzen zum Beispiel jedes Jahr Bäume.

Außerdem sind wir noch eine Deutsche Schachschule, es wird also bei uns sehr viel Schach gespielt. Am Programm „Schule mit Courage und gegen Rassismus“ nehmen wir auch teil.

Wir pflegen aber auch noch einige besondere Traditionen bei uns. Einmal im Jahr haben wir z.B. einen Theatertag, an dem die ganze Schule gemeinsam, also alle Lehrer, alle Schüler und außerdem noch einige Gäste, gemeinsam ins Theater gehen. Wir besuchen Theater in Halberstadt, fahren zusammen aber auch in andere Städte wie Berlin, Dresden oder Leipzig. Tradition pflegen wir auch mit unseren Benefizkonzerten. Besonderes Engagement der Schüler zeigt sich auch an unserer Patenschaft eines Patenkindes über Plan International, die durch Aktionen der Schüler finanziert wird. Uns ist sehr wichtig, dass unsere Schüler soziales Engagement lernen.

 

 

Worauf sind Sie bei Ihrer Schule besonders stolz?


Besonders stolz bin ich auf unsere Traditionen. Wir fragen unsere Schüler, wenn Sie nach der 12. Klasse die Schule verlassen, immer danach, was ihnen besonders an ihrer Schulzeit gefallen hat, was ihnen in Erinnerung geblieben ist. Da werden hauptsächlich unsere Traditionen genannt, unsere Konzerte, unsere Bälle. Außerdem sind wir sehr stolz darauf, dass wir uns mit unseren Schülern überall sehen lassen können. Wir werden oft gelobt, wie ordentlich unsere Schüler sich verhalten, wie interessiert sie sind. Darauf bin ich stolz, weil wir daran wirklich gemeinsam arbeiten. Ich bin natürlich auch stolz auf das Lehrerkollegium, dass es immer wieder gemeinsam an einem Strang zieht. Die Erziehung der Schüler ist im Moment keine leichte Arbeit, weil man die Eltern leider nicht mehr so wie früher hinter sich hat. Ich generalisiere jetzt ein bisschen, aber Eltern sehen vermehrt nur ihre eigenen Kinder, glauben nur ihren eigenen Kindern und wollen bei ihnen auch keine Fehler sehen. Es sind aber nun mal Kinder, die machen Fehler und dazu haben sie auch alles Recht der Welt. Wenn sie aber nun Fehler machen, dann muss man auch reagieren und darauf eingehen. Dass Eltern ihre Kinder schützen, ist ein ganz natürliches Verhalten, aber dass grundsätzlich bei den eigenen Kindern keine Fehler gesehen werden, macht die Arbeit sehr mühsam, mühsamer als früher.

 

 

Kommen wir zu einem heiklen Thema: Mobbing. Besteht an Ihrer Schule ein Konsens im Kollegium, ab wann Lehrerinnen und Lehrer eingreifen müssen? Wenn ja, wie haben Sie diese „Eingriffsschwelle“ ausformuliert?


Ja, im Prinzip haben wir so eine Eingriffsschwelle. Aber wir haben, wie viele andere auch, tatsächlich Schwierigkeiten, alle Fälle genau einzuordnen. Man muss sich immer fragen, ob das jetzt ein normales Gerangel ist, ein gegenseitiges Necken oder einen ernsteren Hintergrund hat. Im Wesentlichen darf es keine Verletzungen geben, unser Ziel ist es, dass alle Kinder gern und ohne Beschwerden in die Schule kommen. Wenn das nicht mehr der Fall ist und wir das sehen oder wenn Kinder sagen, dass sie nicht mehr gern zur Schule gehen, sondern Angst haben, dann ist es an der Zeit, einzugreifen.

 

 

Was würde genau passieren, wenn ein Mobbingfall wahrgenommen oder gemeldet wird, wie ist bei Ihnen der Ablauf?


Zuerst versuchen wir, also zumindest zwei Mitglieder der erweiterten Schulleitung, mit dem Opfer zu sprechen, um herauszufinden, was passiert ist. Dann sprechen wir auch mit dem Täter, je nachdem, wie das Opfer das sieht, auch gemeinsam. In 90% der Fälle (die aber jetzt auch nicht so oft vorkommen) reicht es aus, dass wir mit den Tätern sprechen, weil sie merken, dass sie richtig Ärger bekommen und dass sie ihr Verhalten abstellen müssen. Manchen Tätern ist auch gar nicht so bewusst, was sie mit ihrem Verhalten anrichten, manchmal weinen die Täter mehr als die Opfer. Wir versuchen immer, die Probleme zunächst mit den Kindern zu klären. Wenn dies aber nicht funktioniert, dann laden wir auch die Eltern zu Gesprächen ein.

 

 

An wen können sich Schüler oder Beobachter bei Ihnen wenden, wenn Schüler unter Mobbingattacken leiden?


Man kann sich zunächst an den Klassenlehrer oder die Aufsicht führenden Lehrer wenden. Es gibt bei uns auch Schülermentoren, also ältere Schüler, die einmal in der Woche in die Klassen mit jüngeren Schülern hineingehen. Die Schüler wissen, dass sie den Mentoren auch Probleme oder Vorfälle berichten können. Außerdem haben wir natürlich noch einen Vertrauenslehrer und auch wir als Schulleitung sind jederzeit ansprechbar. Manchmal kommen gar nicht die betroffenen Schüler, sondern Freunde, die mitbekommen haben, dass etwas passiert ist. Aber grundsätzlich sind unsere Lehrer auch selbst sehr aufmerksam.

Was gar nicht funktioniert hat, war unser Kummerkasten, da war nichts drin, außer ab und an mal ein Liebesbriefchen. Der hing relativ versteckt, sodass jeder den auch anonym hätte nutzen können. Aber er wurde einfach nicht angenommen, deshalb haben wir den Briefkasten wieder abgenommen.

Wenn Probleme von Elternseite berichtet werden, dann oft über das elektronische Klassenbuch. Dort haben die Eltern die Möglichkeit, mit den Lehrern und auch der Schulleitung in einem geschützten Bereich zu kommunizieren. Unsere Eltern haben sich an das elektronische Klassenbuch auch recht schnell gewöhnt und nutzen es auch, wenn es irgendwelche Probleme gibt, um die Lehrer anzuschreiben. Wir mussten auch schon ein paar Regeln aufstellen, weil manche um Mitternacht Nachrichten geschrieben haben und die Lehrer dann auf ihren Smartphones um Mitternacht vom System darüber benachrichtigt wurden. Im Wesentlichen funktioniert das aber sehr gut. Übrigens können auch die Schüler das elektronische Klassenbuch nutzen und ebenso die Lehrer anschreiben.

Wenn es sich um einen Mobbingfall handeln würde, die Schüler das wirklich als Mobbing empfinden, sind zwei Mitglieder der Schulleitung immer an Bord. Das hat sich bei uns so eingebürgert.

Das gilt für jeden Verdachtsfall, auch für die Fälle, bei denen die Klassenlehrer denken, dass sie das erst einmal selber mit den Kindern klären können. Die Klassenlehrer bleiben da natürlich auch mit Bord, aber die Schulleitung ist involviert. Die Klassenlehrer sind dafür auch sehr dankbar und fühlen sich bei den Fällen sicherer.

Wir sind auch deshalb direkt dabei, weil das Krisenteam deckungsgleich mit Schulleitungsteam ist. Zu viele Teams an der Schule halte ich für unübersichtlich und schwieriger handhabbar.

 

 

Welche Empfehlung für das Eingreifen bei Mobbingfällen würden Sie anderen Schulen geben?


Ich weiß nicht, ob wir Empfehlungen geben können, wir fühlen uns selbst gar nicht so sicher in vielen Fällen. Deshalb habe ich ja mit meiner Zusage für das Interview Sie auch gleich gebeten, mit Ihnen eine schulinterne Lehrerfortbildung machen zu können.

Die Verhältnisse haben sich verändert, Mobbingattacken werden heutzutage ja oft über soziale Netzwerke geführt. Auf die neuen Gegebenheiten muss man sich einstellen, muss dranbleiben und immer wieder etwas tun.

Eine Empfehlung möchte ich aber trotzdem geben: man muss schnell reagieren. Man muss versuchen, das mit den Schülern zu klären, aber wenn man merkt, dass das nicht funktioniert, muss man auch zügig mit den Eltern sprechen. Damit haben wir die besten Erfahrungen.

 

 

Was halten Sie für die besten Maßnahmen gegen Mobbing? Welche Aktivitäten gegen Mobbing, präventiv oder eingreifend, gab es bei Ihnen in den letzten 12 Monaten?


Abgesehen von Gesprächen, die ich bereits erwähnt haben, haben wir z.B. Ethiklehrer, die sich mit dem Thema beschäftigen und dies mit den Klassen im Unterricht besprechen. Auch im Religionsunterricht und anderen Unterrichtsfächern ist Mobbing ein Thema.

Aber wir klären Probleme hauptsächlich in Gesprächen mit den Tätern. Die sind zuerst freundlich, wir fragen nach, wir appellieren an die Vernunft. Es gibt aber auch Konsequenzen, z.B. Nachdenkaufsätze, in denen die Schüler darlegen müssen, was passiert ist, wie sie dazu stehen und wie sie sich in Zukunft verhalten werden. Bei den Schülern, bei denen Gespräche nicht funktionieren, zeigen wir weitere Schritte auf, z.B. Strafversetzungen in eine andere Klasse oder im schlimmsten Fall auch einen Verweis von der Schule. In der Vergangenheit waren wir aber bisher noch nicht gezwungen, Schüler von der Schule zu verweisen.

Bei uns gibt es verschiedene Stufen, je nach Verhalten. Wenn es nicht so dramatisch war, reicht die eigene Unterschrift des Schülers. Auf der nächsten Stufe verlangen wir die Unterschrift der Eltern, damit sie auch wissen, dass etwas und was genau passiert ist oder laden auch sie zum Gespräch.

Bisher haben unsere Gespräche immer funktioniert. In den letzten Jahren mussten wir noch nicht einmal jemanden in eine andere Klasse strafversetzen. Natürlich liegt es auch daran, dass bei uns die Elternhäuser eigentlich alle sind interessiert sind und wir vernünftig über Probleme reden können. Wichtig ist es in meinen Augen aber auch, dass ich die Gespräche nicht allein führe, sondern dass wir immer mindestens zu zweit auftreten, in manchen Fällen auch mit der ganzen Schulleitung damit das auch wirklich ernst genommen wird.

 

 

Von wem und in welcher Weise würden Sie sich mehr Unterstützung für Ihre Arbeit gegen Mobbing wünschen?


Auch wenn Gespräche mit den Eltern grundsätzlich vernünftig verlaufen, würde ich mir von den Eltern wünschen, dass sie nicht auf Teufel komm raus nur ihre eigenen Kinder schützen wollen. Wir sind daran interessiert, die Kinder auf den richtigen Weg zu bringen. Wenn aber Eltern verhindern, dass Kinder Lehren ziehen, dann können die Kinder aus den Fällen eben auch keine Lehren ziehen. Die Bereitschaft der Eltern, auch bei ihren eigenen Kindern ganz ehrlich die Fehler wahrzunehmen, wäre eine große Hilfe. Bei einigen ist diese Bereitschaft da, aber leider nicht bei allen.

Hilfreich wäre es auch, wenn es mehr Schulpsychologen gäbe, die im Notfall auch wirklich schnell da wären. Die können zwar nicht in allen Fällen helfen, weil es oft wichtig ist, dass man die Kinder und deren Situation auch kennt und verfolgt hat, aber wenn es notwendig ist, sollte jemand schnell da sein können. Einen eigenen Schulsozialarbeiter haben wir nicht an der Schule, da wir nicht so einen hohen Bedarf haben, aber andere Schulen könnten auch mehr Unterstützung durch eigene Schulsozialarbeiter gebrauchen.

Ich finde, das Allerschwierigste ist, zu erkennen, ob es wirklich Mobbing ist und ob ein drastisches Eingreifen nötig ist. In der Vergangenheit hat sich bei manchem Fall, bei dem wir in solcher Weise eingegriffen haben, erst hinterher herausgestellt, dass es nur ein Zank unter Pubertierenden war. Auf der anderen Seite steht die Herausforderung, richtig mit Internetmobbing umzugehen, herauszufinden, wie man das überhaupt mitbekommt. Es muss auch klar sein, ob uns das angeht, viele Lehrer sagen ja generell, dass Fälle, die nicht an der Schule passieren, sie nichts angeht.

 

 

Würden Sie sich einen offiziellen Anti-Mobbing-Tag für Ihr Bundesland wünschen?


Ehrlich gesagt, ich halte ich nichts von diesen Tagen. Probleme können nur durch kontinuierliche Prozesse angegangen werden. Diese „Kampagnen“ bringen aber nur für einen sehr kurzen Moment etwas. Ich finde, man sollte diese Zeit lieber nutzen, um mit den Schülern wirklich zu arbeiten, um reagieren zu können, um mit den Schülern sprechen zu können. Ich denke, dass das Thema Mobbing in den Köpfen der Menschen angekommen ist und solch ein Tag im Gegenteil provozieren könnte, dass die Menschen sagen, dass sie das Wort Mobbing nicht mehr hören können. Wir müssen an der Schule fortlaufend an dem Thema arbeiten.

 

 

 

Über die Interviewreihe


Dieses Interview mit Frau Zimmermann ist Teil unserer Interviewreihe mit Schulleiterinnen und Schulleitern, mit der wir einen konstruktiven Diskurs und offenen Erfahrungsaustausch zwischen den Schulen zum Thema Mobbing anregen und fördern möchten.

Die unterschiedlichen Methoden und Betrachtungen der Schulleitungen, wie sie mit Bordmitteln versuchen, Mobbing- und Gewaltangriffe wirksam zu beenden, werden von der Stiftung nicht selektiert oder bewertet. Wir danken Frau Zimmermann für das Interview und wünschen ihr und dem Käthe-Kollwitz-Gymnasium Halberstadt weiterhin viel Erfolg.