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Interview mit Anette Weirich, Schulleiterin und Volker Kessler, Erzieher, Fachlehrer, Pädagogischer Fachdienst

– Evangelische Schule Naila

Sehr geehrte Frau Weirich, stellen Sie doch einmal Ihre Schule kurz vor.

Die Evangelische Schule Naila ist eine Bekenntnisschule in freier Trägerschaft. Unterrichtet wird nach dem bayerischen Lehrplan. Der christliche Glaube hat seinen festen Platz im Schulalltag und wird fächerübergreifend vermittelt. Ein besonderes Anliegen ist es uns, von christlichen Werten nicht nur zu sprechen, sondern sie zu leben.

Für die Grundschüler wird eine abwechslungsreiche, kindgerechte Mittagsbetreuung angeboten. Da die Betreuer und die Lehrkräfte beim selben Träger angestellt sind, ergibt sich eine enge Verzahnung von Schule und Mittagsbetreuung, was sich sehr positiv für die Schüler auswirkt.

In der einzügigen Mittelschule, die als offene Ganztagesschule geführt wird, liegt unser besonderes Augenmerk auf der Vermittlung sozialer Kompetenzen und der beruflichen Orientierung. Die Verzahnung von Regelunterricht und Ganztagesbetrieb findet in verschiedenen Projekten ihren Ausdruck. Ein erfreulicher Nebeneffekt des Ganztagsbetriebes ist es, dass das Schulklima und das Sozialverhalten äußerst positiv beeinflusst werden.

 

 

Worauf sind Sie bei Ihrer Schule besonders stolz?

Vor allem auf unser gutes Team als Mitarbeiter. Aber auch auf das Miteinander von Lehrern, Mitarbeitern und Schülern. Wobei „stolz“ vielleicht der falsche Ausdruck ist. Stolz kann ich nur auf etwas sein, was ich durch meine eigene Kraft und durch mein Geschick erreicht habe. Ich bin von Herzen dankbar für die Mitarbeiter der Schule, denn ich sehe sie als Geschenk. „An Gottes Segen ist alles gelegen.“ – Dieser Satz ist für mich keine Floskel, sondern meine tiefste Überzeugung.

 

 

Kommen wir zu einem heiklen Thema: Mobbing. Besteht an Ihrer Schule ein Konsens im Kollegium, ab wann Lehrerinnen und Lehrer eingreifen müssen? Wenn ja, wie haben Sie diese „Eingriffsschwelle“ ausformuliert?

Uns ist es als Team wichtig, möglichst niederschwellig einzuschreiten. Wobei wir nicht jede Streiterei zwischen Schülern hoch hängen und thematisieren. Als Menschen haben wir nun mal Ecken und Kanten und stoßen mal aneinander und tun einander weh. Und trotzdem wollen wir dem anderen freundlich begegnen, in dem Wissen, dass auch wir selbst „Macken“ haben – und die anderen uns damit ertragen müssen, so wie wir sie auch. Da gilt es barmherzig miteinander umzugehen und nicht jede Verhaltensabweichung von der erwarteten Norm als einen unverzeihlichen Fehler anzusehen.

Wenn einer der Mitarbeiter jedoch bemerkt, dass die Schüler ein Problem untereinander haben, dass sie alleine nicht lösen können, dann gibt es dafür unterschiedliche Hilfen, z.B. dafür ausgebildete Streitschlichter. Aber hierzu kann Herr Kessler, der Leiter der offenen Ganztagsschule und des pädagogischen Fachdiensts an unserer Schule, genauer Auskunft geben.

Volker Kessler: Prinzipiell ist der Klassenlehrer/die Klassenlehrerin bei allen Konflikten fallverantwortlich. Dadurch ergibt sich naturgemäß eine unterschiedliche „Eingriffsschwelle“. Allerdings legen wir an unserer Schule tatsächlich großen Wert auf einen respektvollen, gewaltfreien Umgang miteinander. Ob im Lehrerkollegium oder mit dem „pädagogischen Fachdienst“ (der pädagogische Fachdienst ersetzt an unserer Schule die Schulsozialarbeit und besteht aus Mitarbeitern der Schule, die keine Lehrer sind) oder den pädagogischen Mitarbeitern der Mittagsbetreuung oder Ganztagsschule – man ist in regem Austausch über die Schülerinnen und Schüler und reagiert sensibel auf etwaige Veränderungen, Leistungseinbrüche oder von Schülern geschilderten Konfliktgeschehen. Im Allgemeinen ist die „Eingriffsschwelle“ aber wesentlich niedriger als an den meisten öffentlichen Schulen. Im Sozialtraining lernen unsere Schülerinnen und Schüler spätestens in der sechsten Jahrgangsstufe die gewaltfreie Selbstbehauptung (Deeskalation, Konfrontation, Hilfe holen). Wendet ein Schüler die gewaltfreie Selbstbehauptung bis hin zur Konfrontation („Wenn du nicht aufhörst, muss ich mir Hilfe holen!“) an, ohne dass das Gegenüber dies respektiert, kann sich der Schüler an eine erwachsene Person wenden, die dann als Konflikthelfer agieren muss. Erwachsene neigen in diesen Fällen leider immer wieder zu Äußerungen wie: „Klärt das unter euch!“. Hier versuchen wir auch die Mitarbeiter zu sensibilisieren, dass genau dies nicht möglich ist, wenn die oben genannte „rote Linie“ überschritten wird.

 

 

Was würde genau passieren, wenn ein Mobbingfall wahrgenommen oder gemeldet wird, wie ist bei Ihnen der Ablauf?

Zunächst würde im Team der Fall umgehend besprochen werden.

Im Rahmen eines systemischen Sozialtrainings wird durch eine geschulte Lehrkraft (Fachberater für systemische Mobbingintervention) eine geschützte Abfrage durchgeführt. Hier zeigt es sich sehr deutlich, ob tatsächlich ein Mobbingfall vorliegt. In diesem Fall wird im Rahmen dieses zweitägigen Sozialtrainings eine Mobbingintervention durchgeführt (Systemisches Sozialtraining und Mobbingintervention nach Konflikt-Kultur der AGJ Freiburg).

In kurzfristig auftretenden Akutfällen würde eine zweistündige Kurzintervention stattfinden.

 

 

An wen können sich Schüler oder Beobachter bei Ihnen wenden, wenn Schüler unter Mobbingattacken leiden?

Zunächst könnte der Klassenleiter als besondere Bezugsperson erster Ansprechpartner sein. Daneben gibt es die Möglichkeit, sich direkt an den pädagogischen Fachdienst (s. o.) zu wenden. Gemeinsam mit dem pädagogischen Fachdienst wird dann im Team und mit den betreffenden Schülerinnen und Schülern das weitere Vorgehen individuell abgesprochen.

 

 

Welche Empfehlung für das Eingreifen bei Mobbingfällen würden Sie anderen Schulen geben?

Als Team zusammenarbeiten und niederschwellig eingreifen! Das Problem nicht erst hochkochen lassen, sondern möglichst frühzeitig eingreifen. Das kostet zwar beständig Zeit und Kraft, zahlt sich aber langfristig aus.

Das Konfliktmanagement-Konzept von „Konflikt-Kultur“ des AGJ Freiburg hat sich wie an vielen anderen Schulen auch bei uns bestens bewährt. Sowohl präventiv als auch in Akutsituationen bekommt man hier hervorragende Werkzeuge an die Hand, die auch das gesamte Schulklima positiv verändern helfen. Einen Überblick über dieses Konfliktmanagement gibt die Broschüre „Was tun bei (Cyber)Mobbing?“, herausgegeben von Klicksafe und Konflikt-Kultur (zum Download auf deren Internetseiten).

Es geht dabei um die Vermeidung der Fallstricke einer möglichen Mobbingintervention (Bagatellisieren, Ablehnungsfalle, Verständnisfalle, dem Opfer keinen Glauben schenken, mit Schuldzuweisungen und Vorwürfen arbeiten, nach den Schuldigen fahnden, mit Täter und Opfer gemeinsam über das Problem sprechen, die Täter bestrafen, einen Tat-Ausgleich führen, nur Einzelgespräche mit dem Opfer führen, Eltern von Opfer und Täter an einen Tisch setzen, Mit der Klasse das Problem „diskutieren“, dem Opfer keine Unterstützung zur Seite stellen, fehlende Kontrolle nach der Intervention).

Im Team ist der wertschätzende Umgang miteinander sehr wichtig. Die oftmals vorhandenen Ressentiments zwischen Sozialpädagogen und Lehrkräften sind leider an vielen Schulen ein Desaster für die Konfliktbewältigung zum Schaden der Schülerinnen und Schüler.

 

 

Was halten Sie für die besten Maßnahmen gegen Mobbing? Welche Aktivitäten gegen Mobbing, präventiv oder eingreifend, gab es bei Ihnen in den letzten 12 Monaten?

Ich empfehle einen schulinternen Maßnahmenkatalog für unterschiedliche Konfliktsituationen über die bekannten Ordnungsmaßnahmen hinaus mit dem Prinzip „Hilfe vor Strafe“! (Z. B. Mediation, Tatausgleich, Wiedergutmachung, schulisch vereinbarte Erziehungsmaßnahmen).

Ansonsten kann ich nur immer wieder auf das Konfliktmanagement von „Konflikt-Kultur“ hinweisen. Mit diesen Werkzeugen arbeiten wir schon seit Jahren sehr erfolgreich. In den letzten 12 Monaten wendeten wir sowohl das zweitägige Sozialtraining (mit den verschiedenen Werkzeugen) in verschiedenen Klassen, sowie den Tatausgleich und Wiedergutmachung immer wieder an.

Seit vielen Jahren führt die Bundespolizei in unseren achten Klassen das Projekt „Zivilcourage“ durch, das den Schülern immer sehr Spaß macht, weil die Beamten, die dieses Projekt durchführen eine ganz tolle Art haben, mit Jugendlichen umzugehen. Dieses Projekt steht und fällt allerdings mit den entsprechenden Beamten, sodass ich eine allgemeine Empfehlung nicht aussprechen würde.

 

 

Von wem und in welcher Weise würden Sie sich mehr Unterstützung für Ihre Arbeit gegen Mobbing wünschen?

Ich meine, jeder ist gefordert und muss sich einbringen. Fortbildungen, personelle Ressourcen und finanzielle Mittel sind dabei eine Hilfe, aber nicht die Bedingung. Wir hatten es als private Schule in der Aufbauphase nicht immer leicht und mussten manche Probleme bewältigen, gerade als die Schule in zwei Schulhäusern untergebracht war. Aber gerade dadurch haben wir auch eine gewisse Kreativität und Flexibilität entwickelt bzw. entwickeln müssen. Diese kommt uns in mancherlei Hinsicht zugute. Wir haben gelernt, nicht erst auf finanzielle Mittel zu warten, sondern zuerst die eigenen Spielräume und Möglichkeiten auszuschöpfen. Und ich bin sehr dankbar, dass Herr Kessler sich regelmäßig in dieser Hinsicht weiterbildet. Dadurch bekommen wir auch immer wieder neue Anregungen von außen.

Das Methodenspektrum von Konflikt-Kultur sollte bereits in der Lehrerbildung Einzug finden. Schade, dass ich erst nach jahrzehntelanger Jugendarbeit auf diese Quelle traf. Viel experimentelle Arbeit hätte schon vorher zielführender durchgeführt werden können.

 

 

Würden Sie sich einen offiziellen Anti-Mobbing-Tag für Ihr Bundesland wünschen?

Nein! Damit ist niemandem geholfen. Mobbing ist immer ein systemisches Problem und muss im System Schule auch angegangen werden. Leider wird man dazu weder im Lehramtsstudium noch in sozialpädagogischen Ausbildungen und Studiengängen mit dem richtigen Handwerkszeug ausgestattet. „Wer als Werkzeug nur einen Hammer hat, sieht in jedem Problem einen Nagel!“ (Paul Watzlawick)

Ein spezieller Mobbingtag mag gut sein für die Leidtragenden, damit das Thema Mobbing ins Blickfeld der Öffentlichkeit gerät, und auch um denjenigen zu danken, die sich dagegen engagieren. Aber das war‘s auch schon. Wenn es bei einem Anti-Mobbing-Tag bleibt und nicht bei einer Sensibilisierung für dieses Thema, einer kontinuierlichen Arbeit an dem sozialen Miteinander und einer Wertschätzung für diejenigen, die sich engagieren, dann bringt auch dieser eine Tag pro Jahr im Grund genommen nichts. Das soziale Miteinander muss 365 Tage im Jahr gelebt werden – und keinen einzigen Tag weniger.

 

 

 

Über die Interviewreihe

Dieses Interview mit Frau Weirich und Herrn Kessler ist Teil unserer Interviewreihe mit Schulleiterinnen und Schulleitern, mit der wir einen konstruktiven Diskurs und offenen Erfahrungsaustausch zwischen den Schulen zum Thema Mobbing anregen und fördern möchten.

Die unterschiedlichen Methoden und Betrachtungen der Schulleitungen, wie sie mit Bordmitteln versuchen, Mobbing- und Gewaltangriffe wirksam zu beenden, werden von der Stiftung nicht selektiert oder bewertet. Wir danken Frau Weirich und Herrn Kessler für das Interview und wünschen ihnen und der Evangelischen Schule Naila weiterhin viel Erfolg.