Interview mit Anette Weirich – Schulleiterin und Volker Kessler – Erzieher, Fachlehrer, Pädagogischer Fachdienst – Evangelische Schule Naila
25. Februar 2019Expertenanhörung im Berliner Abgeordnetenhaus
13. März 2019Interview mit Anette Weirich – Schulleiterin und Volker Kessler – Erzieher, Fachlehrer, Pädagogischer Fachdienst – Evangelische Schule Naila
25. Februar 2019Expertenanhörung im Berliner Abgeordnetenhaus
13. März 2019Interview mit Olaf Meyer,
Schulleiter der Hundertwasser-Gesamtschule, Rostock
Sehr geehrter Herr Meyer, stellen Sie doch einmal Ihre Schule kurz vor.
Die Hundertwasser-Gesamtschule ist eine integrierte Gesamtschule mit gymnasialer Oberstufe im Stadtteil Rostock-Lichtenhagen. Wir sind eine Schule, die im Moment sehr im Wachstum ist. Mit derzeit ca. 720 Schülerinnen und Schülern sowie 62 Lehrkräften gehören wir zu den größten Rostocker Schulen und sind nah an unserer maximalen Aufnahmekapazität von 800 Kindern. Dazu muss ich sagen, dass unsere Schule noch vor 3 Jahre lediglich 450 Schülerinnen und Schüler hatte.
Als Einzugsgebiet unserer Schule fungiert nicht nur die Rostocker Plattenbausiedlung Lichtenhagen, sondern die gesamte Hansestadt Rostock, das Seebad Warnemünde und auch aus dem Umland (Landkreis Rostock) haben wir mittlerweile zahlreiche Kinder, die auf unsere Schule gehen wollen.
Worauf sind Sie bei Ihrer Schule besonders stolz?
Wir sind stolz darauf, eine Schule zu sein, die für alle Schülerinnen und Schüler offen ist. So bieten wir nicht nur die klassischen Abschlüsse „Berufsreife“, „Mittlere Reife“ und das Abitur an, sondern ermöglichen Schülerinnen und Schülern, die durch die herkömmliche Schule nicht oder nur schwer erreicht werden, im Rahmen der flexiblen Schulausgangsphase am Projekt „Produktives Lernen“ teilzunehmen und hier innerhalb von 2-4 Jahren den Abschluss der Berufsreife oder auch der Mittleren Reife (ca. 15% der Teilnehmer) abzulegen. Darauf sind wir besonders stolz, da die meisten dieser Kinder in der herkömmlichen Schule keinen Schulabschluss erreicht hätten.
An unserer Schule gibt es auch einen Integrationskurs „Deutsch als Zweitsprache“, um nichtdeutschsprachigen Schülerinnen und Schülern zu ermöglichen, die deutsche Sprache zu erlernen und dabei schrittweise parallel in den Regelunterricht integriert zu werden. Wichtig für uns ist eine hohe Durchlässigkeit der Bildungsgänge, sodass für alle Schülerinnen und Schüler in der Regelschule der Abschluss bis zum Ende der 9. Klasse offen bleibt und somit ein zu frühes Festlegen auf ein bestimmtes Bildungsniveau verhindert wird.
Kommen wir zu einem heiklen Thema: Mobbing. Besteht an Ihrer Schule ein Konsens im Kollegium, ab wann Lehrerinnen und Lehrer eingreifen müssen? Wenn ja, wie haben Sie diese „Eingriffsschwelle“ ausformuliert?
Um es vorweg zu sagen, natürlich ist unsere Schule keine Insel der Glückseeligen. Wir wollen bewusst eine Schule für alle Schülerinnen und Schüler sein, was zwangsläufig auch dazu, dass natürlich auch bei uns alle Probleme mit Heranwachsenden auftreten können.
Es gibt an unserer Schule eine Arbeitsgruppe „Werte und Normen“, die einen für alle Pädagogen verbindlichen Katalog zum Umgang mit Fehlverhalten festgelegt hat. Dieser besteht selbstverständlich nicht aus jeweils einer Maßnahme, sondern soll pädagogisch sinnvolle und angemessene Reaktionen auf Fehlverhalten aufzeichnen.
Mobbing ist auch an unserer Schule ein immer wieder auftretendes Problem. Es herrscht Konsens im Kollegium, dass wir bei jedem uns bekannt werdenden Fall von Mobbing eingreifen, es gibt keine Schwelle, bei der wir sagen „Hab dich nicht so!“, weil es um das Wohlbefinden der Kinder an unserer Schule geht.
Gleichwohl müssen wir weiter intensiv daran arbeiten, dass Mobbingfälle schnell der Schule mitgeteilt werden. Gerade in der Anfangsphase ist das Intervenieren aus meiner Sicht noch am Einfachsten zu realisieren. Scham und Unwissenheit führen leider mitunter zu einer zu späten Öffnung gegenüber der Schule.
Was würde genau passieren, wenn ein Mobbingfall wahrgenommen oder gemeldet wird, wie ist bei Ihnen der Ablauf?
Grundsätzlich findet zunächst ein Gespräch mit dem betroffenen Kind und den Erziehungsberechtigten statt, um die Formen des Mobbings herauszuarbeiten, die Erwartungen des Opfers aufzunehmen und zu versuchen, gemeinsam das weitere Vorgehen zu besprechen (Anhörung der Täter, Inanspruchnahme von Unterstützersystemen,… je nach Sachlage).
An wen können sich Schüler oder Beobachter bei Ihnen wenden, wenn Schüler unter Mobbingattacken leiden?
Grundsätzlich gibt es für die Schülerinnen und Schüler verschiedene Personen. Das hängt natürlich auch damit zusammen, wer eine aktuelle Vertrauensperson für das Kind ist.
Wir haben an unserer sowohl eine Schulsozialarbeiterin als auch eine PmsA (Personal mit sonderpädagogischer Aufgabenstellung), die den ganzen Tag vor Ort sind. Die Kinder wenden sich auch an ihre Klassenleiter, einen für sie wichtigen Vertrauenslehrer, die zuständigen Jahrgangsleiterinnen oder sie stehen auch einfach bei mir im Büro. Alle Schülerinnen und Schüller wissen, dass sie bei offener Bürotür jederzeit reinkommen können, um Probleme zu schildern.
Auch die Schülervertretung unserer Schule arbeitet seit 3 Jahren sehr engagiert, hat einen Kummerbriefkasten ins Leben gerufen und auch eine Schülerumfrage durchgeführt.
Wichtig ist, dass die Kinder sich eine Vertrauensperson suchen können, zu der sie wirklich auch Vertrauen haben!
Für Eltern stehen nicht nur die Elternsprechtage zur Verfügung, sondern nach Vereinbarung können Sie mit allen Lehrkräften bei Bedarf reden. Ich habe zusätzlich eine offene Sprechzeit am Dienstagnachmittag, an der ohne Voranmeldung Gespräche mit mir durchgeführt werden können. Hier würde ich mir noch mehr Eltern oder auch Schüler wünschen, die dieses Angebot wahrnehmen.
Welche Empfehlung für das Eingreifen bei Mobbingfällen würden Sie anderen Schulen geben?
Ich persönlich bin der Meinung, dass wir als Pädagogen jeden von den Kindern oder den Eltern als „Mobbing“ o.ä. empfundenen Fall ernst nehmen müssen. Es ist nötig, hier Empathie zu zeigen, zuzuhören. Nicht immer hat man sofort die perfekte Lösung parat und das darf man auch ehrlich kommunizieren. Wichtig ist, dass sich die Kinder und Eltern mit ihren Sorgen und Problemen angenommen fühlen.
Ganz klar, das gelingt uns natürlich auch nicht immer, aber den Versuch ist es allemal wert.
Was halten Sie für die besten Maßnahmen gegen Mobbing? Welche Aktivitäten gegen Mobbing, präventiv oder eingreifend, gab es bei Ihnen in den letzten 12 Monaten?
Die beste Maßnahme gegen Mobbing ist es, offen damit umzugehen. Verschweigen und Wegsehen aus Angst um den Ruf der Schule verschärft die Probleme zumeist nur. Hierzu kann man präventiv arbeiten, aber eben auch im Fall der Fälle entsprechende Unterstützersysteme nutzen.
So wird das Thema in Klassenleiterstunden oft thematisiert. Für die 6. Klassen fand in diesem Schuljahr ein Projekttag zum Thema „Soziale Medien und Mobbing“ statt.
Eingreifend haben wir in diesem Schuljahr gemeinsam mit der Schulsozialarbeiterin und auch mit der Schulpsychologin Gespräche mit Opfer und Täter, einzeln und gemeinsam geführt und auch in einer betroffenen Klasse mit einem externen Partner einen Workshop durchgeführt. Wichtig ist allerdings auch hier Geduld, wir können zwar durch Intervention die betroffenen Kinder in der Schule schnell schützen, aber es muss allen klar sein, dass es mitunter ein langer Weg ist, bis die eigentliche Ursache erkannt wird und eine endgültige Lösung gefunden ist.
Dieses könnte manchmal auch heißen, dass wir uns im Extremfall von einzelnen Kindern trennen müssten.
Von wem und in welcher Weise würden Sie sich mehr Unterstützung für Ihre Arbeit gegen Mobbing wünschen?
Ein wichtiger Punkt ist aus meiner Sicht, dass Schule schneller durch Erziehungsberechtigte informiert wird. Hierzu muss natürlich ein vertrauensvolles Verhältnis aufgebaut werden.
Ansonsten würde ich mir mehr Unterstützung der Schulen wünschen. Ein breiter aufgestelltes Potenzial an nichtunterrichtenden pädagogischen Mitarbeitern ist für alle Schulen wünschenswert. Auch eine bessere Aufklärung zum Thema Mobbing wäre für die gesamte Gesellschaft sinnvoll. Hierzu zähle ich auch Seminare für angehende Lehrerinnen und Lehrer im Studium oder verpflichtende Fortbildungen für Lehrkräfte. Dabei ist es allerdings wichtig, dass solche Fortbildungen nicht nur Allgemeinplätze beinhalten, sondern lebensnah sind und den Lehrenden somit konkrete Handlungsmöglichkeiten aufzeigen.
Würden Sie sich einen offiziellen Anti-Mobbing-Tag für Ihr Bundesland wünschen?
Ja…
Über die Interviewreihe
Dieses Interview mit Herrn Meyer ist Teil unserer Interviewreihe mit Schulleiterinnen und Schulleitern, mit der wir einen konstruktiven Diskurs und offenen Erfahrungsaustausch zwischen den Schulen zum Thema Mobbing anregen und fördern möchten.
Die unterschiedlichen Methoden und Betrachtungen der Schulleitungen, wie sie mit Bordmitteln versuchen, Mobbing- und Gewaltangriffe wirksam zu beenden, werden von der Stiftung nicht selektiert oder bewertet. Wir danken Herrn Meyer für das Interview und wünschen ihm und der Hundertwasser-Gesamtschule weiterhin viel Erfolg.