Gespräch mit Rita Schlegel – Schulleiterin Hermann-Sander-Schule, Berlin
1. November 2019
Schildübergabe in Marzahn-Hellersdorf
20. November 2019
Gespräch mit Rita Schlegel – Schulleiterin Hermann-Sander-Schule, Berlin
1. November 2019
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20. November 2019

Gespräch mit Nancy Pokall,

Schulleiterin der Feldmark-Schule in Berlin

Sehr geehrte Frau Pokal, stellen Sie doch bitte einmal sich und Ihre Schule kurz vor.


Ich bin seit 2 Jahren Schulleiterin hier an der Feldmark Schule. Ich habe vorher als Lehrerin an einer anderen Schule unterrichtet und bin dann hierhin neu als Schulleiterin gekommen. Die Schule liegt im Neubaugebiet von Neu-Schönhausen, wir sind hier sehr im Grünen, haben eine tolle Anlage, ein schönes Haus, tolle Höfe. Aber die Schule hat mit ganz vielen Problemen zu kämpfen. Schwierige Schüler, schwierige Eltern, Gewalt, nicht mehr regelbeschulbare Schüler. Das führt zu alltäglichen Problemen. Aber, das ist das Positive, es gibt hier auch ganz viele Ressourcen und viele tolle Menschen, die entdeckt haben, dass man die Kinder auch mit verschiedenen Dingen so gut zurückholen kann, dass Lernen wieder Spaß machen kann. Unsere Grundschule ist eine große Grundschule, wir sind fünfzügig mit ca. 700 Kindern, bei uns tätig sind 50 Lehrer und 23 Erzieher. Außerdem haben wir noch eine Filiale in der ca. 50 Willkommenskinder unterrichtet werden. Wir haben einen großen Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund, bei denen die Integration der Kinder schon gegeben ist, aber es schwierig mit den Eltern der Kinder ist. Die beherrschen dann leider nicht die deutsche Sprache, wir wiederum haben keinen Dolmetscher, allenfalls noch Sozialarbeiter, die verschiedene Sprachen können, aber weitem nicht alles abdecken. Zudem sind wir eine inklusive Schule, das heißt, dass hier ganz viele Kinder mit besonderen Förderschwerpunkten unterrichtet werden. Da haben wir tatsächlich alles dabei, von der geistigen Entwicklung, Autismus, Sehen, Hören, emotional-sozial, Sprache. Also alle Bereiche, die es in der Schule gibt, sind bei uns auch vertreten. Insgesamt sind es über 50 Kinder, die solche Förderschwerpunkte nutzen. Wir würden uns natürlich noch eine bessere Inklusion und eine bessere Unterstützung bei den Bereichen wünschen, bei denen wir sie fördern können, aber das ist derzeit aus personellen Gründen leider nicht machbar.

 

 

Worauf sind Sie bei Ihrer Schule besonders stolz?


Ich kann natürlich nur für die zwei Jahre reden, in denen ich Schulleiterin bin, aber ich bin besonders stolz darauf, dass die Kollegen die Dinge, die Gedanken, die Visionen, die ich hier mit in die Schule gebracht habe, auch ein Stück weit mittragen. Also nicht durchweg, aber dass das Kollegium für neue Dinge offen ist, dass sich das Lehrerbild verändert hat und dass sie das auch ein Stück weit leben, darauf bin ich schon stolz. Auch die Vernetzung innerhalb des Hauses ist aus meiner Sicht viel besser geworden, also die Verknüpfung zwischen den einzelnen Bereichen, ob das jetzt die Schulsozialarbeiter sind, die Lehrer, die Erzieher, das Tridem oder die Integrationserzieher. Ich habe dadurch zwar recht viele Konferenzen, aber ich bin jetzt mit allen vernetzt und jeder weiß über jeden Bescheid. Dadurch, dass ich in allen Sitzungen dabei bin, kann ich die Inputs schnell weitergeben. Das sorgt dafür, dass grundsätzlich schneller agiert werden kann, gemeinsam Lösungen gesucht werden können. Auch in der Sitzung, in der ich gerade vor unserem Gespräch war, haben alle Fachlehrer zusammengesessen. Das nennt sich pädagogische Runde, da sind einzelne Fälle aus der Klasse besprochen worden und es sind gemeinsame Lösungen gesucht worden. Hier war auch der Schulsozialarbeiter dabei, der wiederum andere Denkansätze mitbringt. Das ist gut, denn der Fachlehrer sieht manche Dinge anders als der Schulsozialarbeiter. Trotz des unterschiedlichen Denkens, der unterschiedlichen Sichtweise, haben sie sich aber auf einheitliches Handeln einigen können, auf einheitliche Wege und einheitliche Lösungen für die Kinder. Das ist mir auch wichtig und ich glaube, dass die Kollegen das auch jetzt mehr leben.

 

 

Kommen wir zu einem heiklen Thema: Mobbing. Besteht an Ihrer Schule ein Konsens im Kollegium, ab wann Lehrerinnen und Lehrer eingreifen müssen? Wenn ja, wie haben Sie diese „Eingriffsschwelle“ ausformuliert?


Eine definierte Eingriffsschwelle haben wir nicht, nein. Aber wir reagieren dadurch, dass wir viel miteinander reden, die Schulsozialarbeiter auch ziemlich nah dran an den Kindern sind und relativ schnell geholt werden, recht frühzeitig. Wir haben hier auch kurze Wege, ich werde schnell angeklingelt, komme sofort dazu bei solchen Themen. Wir setzen uns dann hin und beratschlagen, in welcher Form wir dann agieren. Auch hier werden gemeinsame Wege gesucht, aber wir haben nichts festgeschrieben, dass wir ab einem gewissen Punkt einsetzen, sondern reden und entscheiden dann „live“.

 

 

An wen können sich Schüler, Eltern oder Beobachter bei Ihnen wenden, wenn Schüler unter Mobbingattacken leiden?


Wir haben versucht, das ganz transparent zu machen, wir haben ein Kommunikationskonzept, das heißt, sowohl Schüler, Eltern, als auch wir Pädagogen haben die Übersicht, in welchem Fall wir uns an wen wenden können. Es gibt eine Rankingliste, wer an erster, zweiter und dritter Stelle angesprochen werden sollte. Das hilft erst einmal, wenn man nicht weiß, in welcher Situation man sich an wen wenden soll. Zudem sind wir gerade dabei, einen Vertrauenslehrer zu wählen, das bereiten die Schülervertreter gerade vor. Wir haben auch drei Schulsozialarbeiter, die ansprechbar sind. Davon sind zwei Frauen, ein Mann, wir können also auch beide Geschlechter „gut bedienen“. Die Klassenlehrer können natürlich ebenfalls angesprochen werden und es gibt noch eine Nottür hier bei mir. Das heißt, dass jeder Schüler oder fast jeder Schüler weiß, dass wenn er an dieser Tür klopft, ich sie öffne. Vorausgesetzt natürlich, dass ich Zeit habe und nicht gerade in einer Besprechung sitze. Die Nottür ist für das Kind, das nicht mehr weiterweiß und meine Hilfe braucht. Ich denke, dass ich einen guten Kontakt zu den Kindern habe, weil ich viel in der Schule unterwegs bin, viel mit ihnen spreche. Natürlich gibt es auch noch die Erzieher. Gerade wenn die Schüler älter sind, dann haben sie oft noch Kontakt zu dem Erzieher, den sie vorher hatten. Es gibt irgendwie immer eine Vertrauensperson und das nutzen die Schüler hier auch. Der Klassenrat wäre auch eine Möglichkeit, solche Dinge zu thematisieren, in Teamtagen kann man das auch manchmal rauskitzeln. Außerdem habe ich jeden Morgen die Hofaufsicht und begrüße die Schüler beim Reingehen, halte die Tür auf und sage „Guten Morgen“. Auch da haben die Kinder sich angewöhnt, zu kommen, weil sie wissen, dass ich ein offenes Ohr habe. Vertrauen ist am wichtigsten, wenn Vertrauen da ist, kommen die Schüler auch.

 

 

Was würde genau passieren, wenn ein Mobbingfall wahrgenommen oder gemeldet wird, wie ist bei Ihnen der Ablauf?


Auch dann setzen wir uns zusammen. Wenn ein Schüler zu mir kommt und mich auf Vorfälle aufmerksam macht, dann spreche ich den Klassenlehrer an, schaue, was für Ausmaße das hat und dann beratschlagen wir, wen wir ins Boot holen. Wir versuchen, viele Sachen intern zu lösen, schauen, ob wir es mit dem Schulsozialarbeiter oder irgendjemand anderem aus dem Team lösen können, aber wenn wir sehen, dass wir da nicht weiterkommen, gehen wir auch nach außen. Wir haben Netzwerke geknüpft, sodass wir uns dann auch gezielt Unterstützung von außen holen können. Es gibt z.B. die „Berliner Jungs“, die uns bei einigen Themen unterstützen. Das ist zwar eine andere Thematik, aber kann auch in den Bereich Mobbing gehen. Auch mit dem Jugendamt arbeiten wir recht gut zusammen oder mit unserem Träger, bei dem auch noch Schulsozialarbeiter angegliedert sind.

Wenn es ein Problem gibt, dann wird Zeit und Raum geschaffen, wo diese Thematik bearbeitet werden kann. Wenn wir merken, dass es die Problematik Mobbing in Ansätzen gibt, dann versuchen wir zusammen mit den Schulsozialarbeitern ein Konzept zu entwickeln, das z.B. einen Teamtag beinhalten kann, einzelne Stunden soziales Lernen und wir entscheiden, ob wir die Eltern noch mit ins Boot holen, in welcher Weise wir die Eltern informieren. Es wird dann in dem Personenkreis detaillierter besprochen, den es betrifft.

Wir versuchen im Haus grundsätzlich schon, viele Sachen transparent zu machen, aber einen ganz ausgewachsenen Mobbingfall habe ich in den zwei Jahren noch nicht gehabt. Ansätze schon, wir hatten auch mit kleinen „Gangs“ zu tun, aber einen ganz extrem klassischen Fall gab es noch nicht. Bei dem Fall mit den „Gangs“ haben wir auch geguckt, wie wir gut damit umgehen können, wen wir damit dazu holen können. Die „Gangs“ haben sich außerhalb gebildet, hatten auch einen Namen und die Schüler haben angefangen, das auch auf dem Schulhof zu leben. Wir sind dann darauf aufmerksam geworden, weil wir viele tolle Kollegen haben, die einen Blick dafür haben. Wir sind dann mit den Schulsozialarbeitern da rangegangen und haben geschaut, wie wir das Problem aufgedröselt bekommen. In dem Fall haben wir uns auch von unserem Träger Spik e.V. Unterstützung geben lassen. Das Problem haben wir dann auch gelöst.

 

 

Welche Empfehlung für das Eingreifen bei Mobbingfällen würden Sie anderen Schulen geben?


Wenn man den Kinder Vertrauen vermittelt und sie sich äußern können, dann findet sich für alles Andere eine Lösung. Das ist, so glaube ich, die Basis, die man haben muss. Wenn das Kind sich traut, zu sagen „Ich habe ein Problem“, dann kann man da ansetzen. Wir sind ja dafür da, wir sind Pädagogen, wir sollten dafür Lösungen finden können. Und ob wir das alleine stemmen können oder jemanden holen, dazu holen müssen, das entscheidet sich dann.

 

 

Was halten Sie für die besten Maßnahmen gegen Mobbing?


Soziales Training. Ich bin jemand, der im Klassenraum dieses soziale Lernen von der Pike auf gelernt und gelebt hat. Meine damalige Klasse, die ich hatte, sagte immer „wir sind ein Team“ und jedes Kind mit all seinen Ecken und Kanten war ein Mitglied des Teams. Das haben die auch alle gelebt und ich glaube, wenn ich es geschafft habe, dass eine Klasse ein Team ist, dann kann ich auch Unterrichtsstoff vermitteln. Ich bin nicht dieser klassische Lehrer und ich finde es auch gut, dass die Kinder so sind, wie sie sind. Ich als Lehrer muss einfach ein Begleiter sein, ich muss nicht nur Pädagoge sein. Ich muss ein Begleiter des Kindes sein, Begleiter beim Lernen, Begleiter im sozialen Bereich, ich muss es begleiten bei Sorgenpaketen. Ich bin auch ein Stück weit Sozialarbeiter, ein Stück weit Familie, man ist viel mehr als nur der Lehrer.

 

 

Von wem und in welcher Weise würden Sie sich mehr Unterstützung für Ihre Arbeit gegen Mobbing wünschen?


Da ich im Kleinkosmos lebe, würde ich mir mehr Unterstützung von den Eltern wünschen, wie z.B., dass sie zu Veranstaltungen wie Schulhilfekonferenzen oder Ähnlichem kommen und auch die Wege, die wir mit ihnen besprechen, gehen, uns in dieser Hinsicht auch ein Stück weit vertrauen. Wenn ich mir noch mehr wünschen dürfte, würde ich mir wünschen, dass einfach mehr Gelder für die Bildung da sind. Dass ich einfach kleinere Klassen habe, mehr Personal, um solche Dinge aufzufangen. Ich habe in der Regel zwischen 23 und 25 Kinder in der Klasse, bis zu 5 Kinder davon, die einen Förderschwerpunkt haben, aber nur einen Lehrer. Da würde ich mir einfach einen zweiten Lehrer wünschen, der unterstützt, der einfach noch differenzierter arbeiten kann, der die Kinder mitnehmen kann, ja also Inklusion einfach leben kann. Das wäre einfach schön, gerade auch deshalb, weil wir eben hier in einem sozialen Brennpunkt leben. Wir sind zwar offiziell keine Brennpunktschule, weil wir die Anforderungen dafür nicht erfüllen, aber es gibt einen sozialen Brennpunkt hier. Die Lehrer müssen außerdem ja auch nicht nur unterrichten, neben dem Pensum im Klassenraum sind auch noch die Dokumentationen abzuleisten, die sie machen müssen, um wirklich einen Förderschwerpunkt oder Unterstützung für das Kind zu bekommen. Da müssen sie ganz viele Formulare ausfüllen, Förderpläne schreiben, Elterngespräche führen, alles Mögliche dokumentieren, damit das Kind auch die bestmögliche Förderung oder auch Entwicklung nehmen kann. Dass sie auch mit diesen hohen Stundenanzahlen zurechtkommen müssen, die Lehrer an Grundschulen müssen ja auch wesentlich mehr unterrichten als an anderen weiterführenden Schulen, finde ich wenig gerechtfertigt.

 

 

Wo sehen Sie Herausforderungen für die Schule in Zukunft?


Dadurch, dass wir eine immer größere Durchmischung haben, also aus den unterschiedlichsten Ländern, die teilweise über den kulturellen Hintergrund schon verfeindet sind, sehe ich da schon eine große Anspannung. Ich habe auch zwei Kinder in einer Klasse, die zwei unterschiedliche Nationalitäten haben und die Kinder leben die Feindbilder permanent aus. Das wird uns noch mehr erwarten, weil wir immer mehr Nationalitäten in den Schulen haben. Wir haben auch immer mehr damit zu tun, dass Eltern ihre Erziehungsaufgaben nicht übernehmen. Dass sie sich nicht um Dinge kümmern, die bei Kindern auffallen, z.B. wenn sie nicht zum entsprechenden Arzt gehen, sich entsprechende Unterstützung nicht geben lassen, Ergotherapie, Diagnostiken oder Ähnliches. Ich habe dadurch immer mehr Kinder mit emotional-sozialen Problemen hier. Die Gewalt wird dadurch steigen und auch Mobbing wird dadurch zunehmen. Das ist leider die Entwicklung und deshalb muss ich ganz hart an diesen Dingen arbeiten, damit das nicht zum immer größeren Problem an der Schule wird. Das ist eine tagtägliche Arbeit für die Kollegen. Erst kürzlich hat eine Kollegin mit einer ersten Klasse mir davon berichtet, wie sich die Kinder verhalten, wenn sie im Umkleideraum sind, wenn sie sich in der Sporthalle anstellen. Da sind sofort die Arme, da wird geknufft, geschubst, gedrängelt, die wissen nicht, wie sie sich ordentlich anstellen sollen. Die wissen nicht, wo sie ihre Hände lassen sollen, die brauchen das Taktile, müssen ständig berührt werden. Das mag der andere dann aber vielleicht ein anderer wieder nicht und dann knufft der wieder gleich zurück. Es wird auch immer schwieriger, weil die Kitas ebenfalls zu viele Kinder haben und der Betreuungsschlüssel nicht mehr funktioniert. Bestimmte Dinge können da nicht mehr trainiert werden. Teilweise sind die Kinder auch gar nicht mehr in der Kita. Dann kommen sie hierher, wo sie plötzlich in ein Regelwerk kommen, das sie nicht kennen, und müssen dann noch Leistung abliefern. Das ist schwierig für die kleinen Mäuse.

 

 

 

Über die Gesprächsreihe


Im Rahmen unserer Gesprächsreihe haben wir Frau Pokall persönlich vor Ort besucht. Dieses Gespräch ist Teil unserer Gesprächsreihe mit Schulleiterinnen und Schulleitern, mit der wir einen konstruktiven Diskurs und offenen Erfahrungsaustausch zwischen den Schulen zum Thema Mobbing anregen und fördern möchten.

Die unterschiedlichen Methoden und Betrachtungen der Schulleitungen, wie sie mit Bordmitteln versuchen, Mobbing- und Gewaltangriffe wirksam zu beenden, werden von der Stiftung nicht selektiert oder bewertet. Wir danken Frau Pokall für das Interview und wünschen ihr und der Feldmark-Schule viel Erfolg.